CO2-Ausstoß: Deutschland soll dreimal schneller reduzieren

Kaum etwas anderes ist in Deutschland derzeit so umstritten wie der Gesetzentwurf zum klimafreundlichen Heizen. Das Gebäudeenergiegesetz des grünen Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministers Robert Habeck sieht vor, dass ab 2024 jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden muss. Es dürften damit keine reinen Gas- oder Ölheizungen mehr neu installiert werden.

Für die Opposition kritisiert CDU-Parteichef Friedrich Merz das Gesetz als “Klimapolitik mit der Brechstange”, und selbst zwischen den Regierungsparteien SPD, Grünen und FDP gibt es Krach. Während Habeck von einem “Meilenstein in der deutschen Klimapolitik” spricht, hieß es kürzlich auf dem FDP-Bundesparteitag, der Gesetzentwurf stehe “exemplarisch für die falsche Klima- und Energiepolitik der Grünen”.

Gegenwind auch aus der Bevölkerung

SPD-Chef Lars Klingbeil warnt, die Diskussion über das Ende von Öl- und Gasheizungen habe in der Bevölkerung eine massive Verunsicherung ausgelöst. Führende Sozialdemokraten fordern bereits eine Verschiebung des Gesetzes auf 2027.

Habeck hält seinen Kritikern entgegen, dass Deutschland beim Klimaschutz in den letzten Jahren zu langsam gewesen sei und diesen Rückstand nun dringend aufholen müsse. “Deswegen ist es tatsächlich so, dass wir eher gezwungen sind, entschieden und entschlossen zu arbeiten, oder eben zu sagen, wir erreichen die Ziele nicht.”

Dreimal schneller werden

In dieser Situation bekommt Habeck Rückenwind von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Um bis 2045 klimaneutral zu werden, müsse das Tempo der CO2-Emissionsminderung verdreifacht werden, heißt es in zwei Berichten, die OECD-Generalsekretär Mathias Cormann an diesem Montag (08.05.) an den Bundeswirtschaftsminister und an Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) übergab.

Die OECD analysiert laufend die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung ihrer 38 Mitgliedsstaaten und prüft, ob und wie die Regierungen ihrer Aufgabe gerecht werden, “Wohlstand, Gerechtigkeit, Chancen und Lebensqualität für alle zu sichern”, wie es die OECD formuliert.

Noch wird zu viel Kohle verbrannt

In den jüngsten Berichten werden Deutschland “bemerkenswerte Fortschritte” bei der Senkung der Treibhausgasemissionen attestiert. Seit 1990 ist der CO2-Ausstoß um 39 Prozent gesunken. Trotzdem gehören die Pro-Kopf-Emissionen nach wie vor zu den höchsten im OECD-Raum. Zurückzuführen ist dies hauptsächlich auf den hohen Anteil der Industrie und den großen Beitrag fossiler Brennstoffe, insbesondere Kohle, zur Strom- und Wärmeproduktion. “Im Kern zeigen beide OECD-Berichte auf, wie weit wir uns von der Erreichung unserer Natur- und Klimaziele noch entfernt befinden”, räumte Umweltministerin Steffi Lemke ein. 

Deutschland | Berlin | Das Foto zeigt den Oberkörper von Umweltministerin Steffi Lemke bei der Übergabe der OECD-Berichte in Berlin. Sie lächelt leicht und trägt einen hellen Blazer zu einer dunkelblauen Bluse.

Die grüne Umweltministerin Steffi Lemke sieht Defizite

In ihrer Analyse begrüßt die OECD den Plan der Bundesregierung, die Emissionen im Gebäudesektor bis 2030 um 42 Prozent zu reduzieren. Gleichzeitig wird aber angezweifelt, ob das mit dem Heizungstausch allein funktionieren kann. “Die größte Herausforderung besteht darin, dass der Gebäudebestand alt und die jährliche Sanierungsrate gering ist”, heißt es im Bericht. Mehr als dreiviertel aller Häuser sind vor 1979 gebaut worden und haben eine schlechte Energiebilanz.

CO2-Ausstoß sollte teurer werden

Gebäude, die schlecht gedämmt sind, brauchen viel Energie. Um die Gebäudesanierung zu beschleunigen, müssten finanzielle Anreize in Form einer einheitlichen CO2-Bepreisung gesetzt werden, sagt die OECD. Doch genau das will Deutschland nicht. “Wenn man den CO2-Preis deutlich anhebt, muss es einen sozialen Ausgleich geben, und der muss schnell und unbürokratisch sein. Das Instrument haben wir noch gar nicht in Deutschland”, warnt Minister Habeck.

Deutschland | Berlin | Das Foto zeigt Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck bei der Übergabe der OECD-Berichte in Berlin. Er sitzt vor einem Mikrofon, spricht und hat die rechte Hand erhoben. Habeck trägt ein dunkles Sakko über einem weißen Hemd.

Wirtschaft- und Klimaschutzminister Robert Habeck fühlt sich durch die OECD-Berichte bestätigt

Die Entscheidung, Emissionen nicht teurer zu machen, hat aber auch mit der energieintensiven Industrie zu tun. Stahl-, Glas- und Papierhersteller und die Grundstoffchemie in Deutschland zu halten sei wichtig. “Obwohl sie strenggenommen ökonomisch vielleicht dann gar nicht mehr gewollt sein müssten, sollen sie trotzdem hier ihren Platz haben. Wir haben gelernt und gesehen, dass eigene Kapazitäten vorzuhalten am Ende die Sicherheit einer Volkswirtschaft gewährleistet”, so Habeck.

Sanierungsfall Deutsche Bahn

Die CO2-Bepreisung ist aber nicht der einzige Punkt, in dem die Auffassungen der OECD und der Bundesregierung auseinandergehen. Gegensätze gibt es auch beim Thema Verkehr. Der Sektor ist nach der Stromerzeugung der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen.

Verantwortlich ist dafür fast ausschließlich der Straßenverkehr. Nur neun Prozent des Personenverkehrs und 19 Prozent des Güterverkehrs werden in Deutschland mit der Bahn abgewickelt. Die OECD urteilt, das liege auch daran, dass sich die Qualität des Schienenverkehrs in den letzten zehn Jahren verschlechtert habe. “Vor allem was die Pünktlichkeit, Verfügbarkeit von WLAN in Zügen und Barrierefreiheit betrifft, liegt die Kundenzufriedenheit unter dem EU-Durchschnitt.”

Deutschlandticket / Das Foto zeigt ein 49-Euro-Ticket

Für 49 Euro einen Monat lang den Nahverkehr nutzen: Seit dem 1. Mai gilt das Deutschlandticket, das mehr Menschen in Bahn und Busse locken soll

Autofahren wird belohnt

60 Milliarden Euro müssten bis 2029 bereitgestellt werden, um den Investitionsrückstand aufzuholen und die überregionale Schieneninfrastruktur zu verbessern. Geld, das eingenommen werden könnte, indem klimaschädliche Subventionen im Verkehrsbereich abgeschafft würden. Die steuerliche Förderung setze oft falsche Anreize zulasten nachhaltiger Verkehrsträger, kritisiert die OECD. Beispiele dafür seien das Dienstwagenprivileg, die Pendlerpauschale und die Subventionierung von Dieselkraftstoff.

Deutschland. Blick auf eine Autobahn in der Nähe von Frankfurt. Auf drei Spuren stauen sich PKW und LKW. Die Geschwindigkeit ist mit digitalen Verkehrsschildern auf 60 km/h gedrosselt

Der Verkehrssektor verfehlt immer wieder seine CO2-Einsparziele

Für jeden gefahrenen Kilometer, der zwischen Wohnort und Arbeitsstätte liegt, können in der Steuererklärung 30 Cent geltend gemacht werden. Ab einer Strecke von 21 Kilometern sind es sogar 38 Cent. Das biete “Anreize zu längeren Arbeitswegen als notwendig, was Klimaziele gefährdet und Zersiedelungsprozesse und die damit einhergehende Flächeninanspruchnahme begünstigt”, heißt es.

Stetig wachsender Straßenverkehr

Einen auch privat nutzbaren Firmenwagen gestellt zu bekommen, das ist in Deutschland ein Bonus, mit dem viele Arbeitgeber werben. 60 Prozent aller PKW-Neuzulassungen sind Dienstwagen. Mitarbeiter müssen lediglich ein Prozent des Fahrzeugpreises mit ihrem Gehalt versteuern.

Der Arbeitgeber zahlt in der Regel die Zulassungsgebühr und die jährlichen Versicherungskosten ebenso wie Kraftstoff und sonstige Betriebskosten. Im OECD-Wirtschaftsbericht heißt es: “Wie nicht anders zu erwarten, werden (in Deutschland) nahezu doppelt so viele Firmenwagen genutzt wie Privatfahrzeuge.” Das führe dazu, dass die Zahl der PKW und der Verkehr wachse, und es gebe Anreize, größere und schwerere Fahrzeuge zu kaufen. “Diese steuerliche Vorzugsbehandlung sollte wie die anderen Subventionen für fossile Brennstoffe abgeschafft werden”, heißt es im Bericht.

Die FDP schützt das Dienstwagenprivileg

Eine Forderung, der der Grüne Robert Habeck nur zu gerne nachkommen würde. Doch die FDP stellt sich quer und hat in der Koalition auch bereits die Zusage bekommen, dass das Dienstwagenprivileg erhalten bleibt. “Trotz dem Wunsch, umweltschädliche Subventionen abzubauen, müssen wir da Vertragstreue zeigen”, sagt Habeck. Im Gegenzug erwarte er aber auch, dass die FDP sich an die Vereinbarung halte, das Gebäudeenergiegesetz noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg zu bringen.