Von der Leyen will EU mit Industrieplan fit machen

“In den nächsten Jahrzehnten werden wir den größten industriellen Wandel unserer Zeit erleben – vielleicht sogar aller Zeiten”, erklärte Ursula von der Leyen. “Und diejenigen, die die Technologien entwickeln und herstellen, die das Fundament der Wirtschaft von morgen bilden, werden den größten Wettbewerbsvorteil haben.”

Als einen Grund für den neuen Plan nannte von der Leyen die aus Wettbewerbsgründen umstrittenen Subventionspläne für klimafreundliche Technologien in den USA und in China. “Damit die europäische Industrie attraktiv bleibt, ist es notwendig, mit den Angeboten und Anreizen außerhalb der EU mitzuhalten”, betonte sie beim Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos

Ihrer Einschätzung nach ist es dafür notwendig, die Regeln für staatliche Förderung zu lockern. Zudem müssten aber auch zusätzliche EU-Mittel bereitgestellt werden. Man wisse, dass staatliche Beihilfen nur eine begrenzte Lösung sein könnten, auf die nur wenige Mitgliedstaaten zurückgreifen könnten. Daher wird ihren Angaben zufolge derzeit nach einer Lösung gesucht, wie Unternehmen in EU-Staaten ohne große Fördermöglichkeiten kurzfristig unterstützt werden könnten. Mittelfristig soll es dann einen “Europäischen Souveränitätsfonds” geben. Um was für Beträge es gehen könnte, sagte von der Leyen nicht.

“Netto-Null-Industrie-Gesetz”

Neben neuen Investitionen sieht von der Leyens Industrieplan unter anderem einen Bürokratieabbau für Anbieter von Produkten wie Windenergie, Wärmepumpen, Solarenergie und sauberem Wasserstoff vor. Dafür soll auch ein “Netto-Null-Industrie-Gesetz” vorgeschlagen werden, mit dem die Kommission auf dem Weg zur Klimaneutralität “klare Ziele für saubere Technologien in Europa bis 2030” festlegen will. Mit “Netto Null” (Englisch: “Net Zero”) ist gemeint, dass das ausgestoßene Kohlendioxid (CO2) an anderer Stelle eingespart werden soll. Die EU will so bis 2050 “klimaneutral” werden.

Weitere Punkte sind die Verringerung der Abhängigkeit von Rohstofflieferungen aus Ländern wie China, ein Programm zur Fachkräfteentwicklung sowie ein entschlossenes Vorgehen gegen Staaten, die sich nicht an die Spielregeln der Welthandelsorganisation (WTO) halten.

China beispielsweise ermutige energieintensive Unternehmen mit dem Versprechen billiger Energie, niedriger Arbeitskosten und eines laxeren Regelungsumfelds, ihre Produktion ganz oder teilweise dorthin zu verlagern, erklärte von der Leyen. Gleichzeitig subventioniere das Land seine Industrie stark und beschränke den Zugang zum chinesischen Markt für EU-Unternehmen.

Chinas Wirtschaft wächst um drei Prozent

China hat in der Corona-Krise 2022 mit einem Wirtschaftswachstum von 3,0 Prozent sein Planziel klar verfehlt, will dieses Jahr aber zu alter Stärke zurückkehren. Vizeministerpräsident Liu He kündigte in Davos konjunkturelle Fortschritte an, die insbesondere durch die Entfesselung der Binnennachfrage in dem Land zustande kommen sollen. “Falls wir hart genug arbeiten, sind wir zuversichtlich, dass Chinas Wachstum 2023 sehr wahrscheinlich zu seinem Normaltrend zurückkehren wird”, sagte Liu auf dem Weltwirtschaftsforum.

The annual World Economic Forum 2023 in Davos

Der chinesische Vizepremier Liu He bei seinem Auftritt auf dem Weltwirtschaftsforum

Eine genaue Zahl nannte er nicht, sprach aber von einem “vernünftigen Wachstum” als Zielmarke. 2021 hatte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft nach den USA noch um 8,4 Prozent zugelegt. Für 2022 hatte die Führung in Peking ein Plus beim BIP von rund 5,5 Prozent angestrebt, konnte es angesichts der lange Zeit verfolgten Null-COVID-Strategie mit strikten Lockdowns aber nicht halten.

Die Corona-Lage ist laut Liu mittlerweile unter Kontrolle. “China hat den Höhepunkt der Infektionen überschritten”, sagte er in der Schweiz. Vom Höhepunkt der Infektionen zur Rückkehr zur Normalität sei es nur eine kurze Zeitspanne. Die kommunistische Führungsriege hatte im Dezember unter dem Eindruck der lahmenden Wirtschaft und nach regierungskritischen Protesten eine abrupte Abkehr von ihrer strikten Null-COVID-Politik verkündet.

Gassolidaritätsabkommen zwischen Deutschland, Schweiz und Italien im Gespräch

Angesichts der Energiekrise in Europa könnten Deutschland, die Schweiz und Italien bei einer Notlage in der Gasversorgung zusammenarbeiten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schlug bei einem Gespräch mit dem Schweizer Energieminister Albert Rösti am Rande des Weltwirtschaftsforums Gespräche über ein trilaterales Gassolidaritätsabkommen vor. Rösti stimmte zu. Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine haben zu einer Energiekrise geführt. Die Schweiz hat wenig Möglichkeiten der Gasspeicherung und ist sehr von den Nachbarländern abhängig.

Schweiz Weltwirtschaftsforum in Davos - Robert Habeck und Albert Rösti

Wirtschaftsminister Robert Habeck und Energieminister Albert Rösti in Davos

Die Regierung in Bern drang schon seit Monaten auf bilaterale Solidaritätsabkommen mit Deutschland auf der einen und Italien auf der anderen Seite. Habeck und Rösti seien sich nun bei ihrem Treffen aber einig geworden, “dass die offenen Fragen im Gasbereich auch auf technischer Ebene geklärt werden können und es entsprechend kein bilaterales Solidaritätsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz braucht”, erklärte die Schweizer Regierung.

Hype um KI-Software ChatGPT

Neben wirtschaftlichen Problemen und politischen Krisen beherrscht in diesem Jahr eine Software die Diskussionen der Konzernbosse beim Weltwirtschaftsforum: ChatGPT, eine sogenannte “Generative Künstliche Intelligenz”, die anhand weniger Stichworte Romane und Computerprogramme erstellen kann oder menschliche Interaktion simuliert. “Ein Umbruch, auf den die Gesellschaft und die Industrie vorbereitet sein müssen”, titelten die Veranstalter des Forums auf ihrer Webseite.

Schweiz Weltwirtschaftsforum in Davos, Satya Nadella

Gut gelaunt in Davos: Microsoft-Chef Satya Nadella

KI werde sämtliche Produkte seines Unternehmens “vollständig umkrempeln”, sagte Microsoft-Chef Satya Nadella bei einer Podiumsdiskussion. Sein Softwarehaus sicherte sich einem Medienbericht zufolge für zehn Milliarden Dollar knapp die Hälfte der Anteile an OpenAI, dem Macher von ChatGPT. Microsoft will die Technologie unter anderem in seine Suchmaschine Bing integrieren und damit den Branchenprimus Google angreifen.

Die Künstliche Intelligenz werde den Arbeitsmarkt in vielen Branchen auf den Kopf stellen, prognostizierte Fondsmanager Brice Prunas vom Vermögensverwalter Oddo BHF. “Nach den Arbeitern, die mit dem Aufkommen von Robotern in den Fabriken konfrontiert waren, könnten es nun bald die Angestellten wie Buchhalter, Berater, Lehrer und so weiter sein, die sich auf diese neue Situation einstellen müssen.”

kle/gri (afp, rtr, dpa)