Iranischer Filmemacher Jafar Panahi tritt in den Hungerstreik

“Ich erkläre ausdrücklich, dass ich aus Protest gegen meine Geiselnahme am Morgen des 12. Bahman (1. Februar) und das illegale und unmenschliche Verhalten des Justiz- und Sicherheitsapparats in den Hungerstreik getreten bin”, schrieb Panahi in einer Erklärung, die am Mittwochabend von der Ehefrau des Filmemachers, Tahereh Saeedi, und seinem Sohn, Panah Panahi, auf ihren Instagram-Konten veröffentlicht wurde.

“Ich werde mich weigern, irgendetwas zu essen oder zu trinken oder Medikamente zu nehmen, bevor ich nicht freigelassen werde”, so der 62-Jährige weiter. “Und zwar so lange, bis vielleicht mein lebloser Körper aus dem Gefängnis befreit wird.”

Der vielfach preisgekrönte Filmemacher sitzt im berüchtigten Evin-Gefängnis am nördlichen Stadtrand von Teheran. Es ist für seine harten Haftbedingungen bekannt. Panahi war im Juli 2022 in einem Teheraner Gericht festgenommen worden, als er sich über den Fall zweier anderer verhafteter Filmregisseure informieren wollte: Mohammad Rasoulof und Mostafa Aleahmad. Die Justiz entschied daraufhin, dass er eine bereits 2010 wegen “Propaganda gegen das System” verhängte, sechsjährige Haftstrafe antreten müsse, die damals nach zwei Monaten in Haft zur Bewährung ausgesetzt worden war. Panahi hatte 2009 Massenproteste unterstützt, die auf die umstrittenen Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen folgten, aus denen Mahmoud Ahmadinejads zweite Amtszeit resultierte. 

Das Urteil sollte bereits am 15. Oktober 2022 aufgehoben werden, da laut Oberstem Gerichtshof die zehnjährige Verjährungsfrist erreicht war, doch Panahi blieb in Haft. Zwischenzeitlich sei der Fall an das Berufungsgericht weitergeleitet worden, wie Panahis Anwalt Saleh Nikbakht erklärte. Dessen Entscheidung steht noch aus.

Bildcollage von Jafar Panahi, Mohammad Rasoulof und Mostafa Alahmad (v.l.)

Dem Regime ein Dorn im Auge: die Regisseure Jafar Panahi, Mohammad Rasoulof und Mostafa Alahmad (v.l.)

Bereits am 7. Januar war Panahis Kollege Mohammad Rasoulof  freigekommen. Aus gesundheitlichen Gründen wurde ihm ein zweiwöchiger Hafturlaub gewährt, wie sein Anwalt der Nachrichtenagentur AFP sagte.

Filme trotz Ausreise- und Arbeitsverbot

Seit 2010 ist es Jafar Panahi verboten, den Iran zu verlassen. Auch darf er keine Filme mehr drehen und nicht einmal Drehbücher schreiben. Ungeachtet dessen hat der Regisseur weitere Filme produziert, die auf den großen Filmfestivals mit zahlreichen Preisen bedacht wurden. Panahis Film “Taxi Teheran” etwa erhielt 2015 bei den Filmfestspielen in Berlin den Goldenen Bären. Sein letzter, der halb-autobiografische Film “Khers Nist (No Bears)”, gewann im vergangenen September den Spezialpreis der Jury der Filmbiennale in Venedig. 

Ein leerer Stuhl vor einer roten Wand.

Bei der Berlinale 2011 blieb der Stuhl mit der Aufschrift “Jafar Panahi” leer. Der Regisseur, zugleich Jurymitglied des Wettbewerbs, saß zu dieser Zeit im Iran im Gefängnis

Auf dem dortigen Festival wurde die Freilassung des Regisseurs gefordert. In einem Brief aus dem Gefängnis bedankte sich Panahi für die Unterstützung inhaftierter Künstlerinnen und Künstler. Zugleich stellte er klar, dass Repressionen im Iran weiter an der Tagesordnung seien.

Proteste gegen Verschärfung der Hijab-Gesetze 

Derzeit erschüttern zahlreiche Proteste das Land. Es begann damit, dass das iranische Regime im letzten Jahr die Hijab-Gesetze für Frauen verschärfte. Unter jenen, die wegen einer vermeintlich nicht korrekt getragenen Kopfbedeckung von der iranischen Sittenpolizei festgenommen wurden, war die 22-jährige Iranerin kurdischer Abstammung Jina Mahsa Amini. Ihr Fall sorgte für besondere Aufmerksamkeit, stellt er doch den Beginn von Massenprotesten im Iran dar: Augenzeugen zufolge, die in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Erwähnung finden, soll sie während des Transports in das Vozara-Gefängnis geschlagen und wenige Stunden nach der Festnahme ins Koma gefallen sein. Amini starb drei Tage später (16.09.2022) in einem Teheraner Krankenhaus. 

Filmstill aus dem Film Taxi Teheran. Der Regisseur sitzt selbst am Steuer, ein Fahrgast hinten.

Filmstill aus Jafar Panahis “Taxi Teheran”: Der Filmemacher sitzt selbst am Steuer und spricht mit wechselnden Fahrgästen

Nach Angaben der Human Rights Activists News Agency (HRANA) wurden seit dem 17. September mehr als 500 Demonstranten bei der Niederschlagung der Proteste getötet und fast 20.000 Menschen festgenommen.

Den iranischen Behörden ein Dorn im Auge

Panahis Sohn Panah glaubt, dass sein Vater als Warnung für andere eingesperrt wurde. “Sie wollen die anderen Künstler zum Schweigen bringen, indem sie Jafar inhaftieren”, sagte er der Filmzeitschrift “Hollywood Reporter”. “Generell versucht dieses Regime, aus jedem Bereich einen Vordenker zu inhaftieren, der sich Gedanken über den Iran und die Proteste macht, um anderen als abschreckendes Beispiel zu dienen, den Mund zu halten.”

Den iranischen Behörden ist Jafar Panahi ein Dorn im Auge, seit sein Spielfilmdebüt “Der weiße Ballon” 1995 in Cannes mit der “Camera d’Or” (Goldene Kamera) ausgezeichnet wurde. Irans Kleriker versuchten, den Film zurückzuziehen, als er bei der Oscar-Verleihung als bester fremdsprachiger Film ausgewählt wurde. Sie untersagten Panahi die Teilnahme am US-amerikanischen Sundance Film Festival, um für den Film zu werben. Bis heute ist “Der weiße Ballon” Panahis erster und letzter Film, der in iranischen Kinos zu sehen war.

Panahis Art, Filme zu drehen

In der restlichen Welt wird Panahis Werk gefeiert. Der Filmemacher hat seit seinem Berufsverbot 2010 mehrfach bewiesen, dass es ihm dennoch gelingt, weiter zu arbeiten. Er nutzt für seine Produktionen eine einfache Ausrüstung und greift teils auf nicht-professionelle Schauspieler zurück. Die Ergebnisse werden auf Speichersticks außer Landes gebracht. 

 Der Film “Taxi Teheran” von 2015 verdeutlicht diese subversive Art des Filmemachens. Er wurde komplett in einem Auto gedreht – genauer in einem Taxi, das durch die Straßen Teherans fährt und verschiedene Fahrgäste zu ihren Bestimmungsorten bringt. Einige erkennen den Chauffeur – es ist Panahi selbst. Seine Unterhaltung mit den Fahrgästen zeichnet eine am Armaturenbrett installierte Kamera auf.

“No Bears”, den die New York Times zu einem der zehn besten Filme des Jahres 2022 kürte, drehte Panahi in einem abgelegenen Dorf an der Grenze zur Türkei. “Es ist schon nicht einfach, einen Film zu machen. Ihn aber heimlich zu drehen, ist richtig schwierig, besonders im Iran, wo eine totalitäre Regierung das Land so stark kontrolliert und überall spioniert”, sagte der iranische Filmwissenschaftler und Dokumentarfilmer Jamsheed Akrami gegenüber der Agentur AP. “Als Filmemacher ist Panahi unvergleichlich.”

Eine iranische Stimme des Gewissens

Jafar Panahi mit einem Fotoapparat vor einer Häuserwand.

Trotz Berufsverbot: Panahi fand Wege, weitere Filme zu drehen

Während Panahi trotz des Verbots, Filme zu drehen und mit den Medien zu sprechen, seiner Arbeit nachging, scheute er sich auch nicht, für Meinungsfreiheit und insbesondere für die Rechte der Frauen einzutreten.

Sein zwischen Fiktion und Dokumentation changierender Film “Drei Gesichter” aus dem Jahr 2018 gewährt Einblicke in das Leben einer geächteten ehemaligen Schauspielerin. Der Streifen wurde bei den Filmfestspielen in Cannes 2018 für das beste Drehbuch ausgezeichnet.

Panahi thematisierte auch die Frauenrechte im Iran

Fast schon prophetisch agierte Panahi, wenn er in früheren Filmen wie “The Circle” die Unterdrückung von Frauen im Iran anprangerte. Das wirkt wie ein Vorgriff auf die von Frauen angeführten Proteste, die heute den Iran aufwühlen. “Panahi deckt hier den alltäglichen Sexismus des Landes auf. Er zeigt, wie es ist, eine Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft zu sein”, schrieb ein Rezensent über seinen Film aus dem Jahr 2000. In “Taxi Teheran” spricht der Filmemacher 2015 mit seiner jungen Nichte über die Sittenpolizei und die Zensur.

Doch geht es Panahi letztlich um die universelle Unterdrückung, unter der auch Männer leiden – auch außerhalb des Irans. Mit Blick auf die eingeschränkten Möglichkeiten für Frauen in seinem Film “The Circle” sagte Panahi in einem Interview, dass Männer zwar weniger Zwängen unterworfen seien, aber trotzdem nur eingeschränkt agieren könnten: “Männer leben in denselben restriktiven Kreisen wie Frauen, aber vielleicht haben ihre Kreise einen größeren Radius als der der Frauen.”

Der Artikel wurde von Stefan Dege aus dem Englischen adaptiert.