Am Abend des 26. April hat das bulgarische Energieministerium bekannt gegeben, dass der russische Staatskonzern Gazprom die Gaslieferungen nach Bulgarien ab dem 27. April einstellen wird. Auch Polen soll kein Gas mehr erhalten. Beide Länder hatten sich geweigert, russisches Gas, wie von Moskau gefordert, in Rubel zu bezahlen.
“Da unsererseits alle Handels- und Rechtsbeziehungen respektiert wurden, ist es offensichtlich, dass hier Erdgas als politische Waffe eingesetzt wird”, kommentierte der bulgarische Energieminister Aleksandar Nikolow die Einstellung der Gaslieferungen bei einer Presskonferenz. “Die Gasversorgung ist für mindestens einen Monat garantiert”, versicherte Nikolow. Bulgarien deckt mehr als 90 Prozent seines Gasbedarfs über russische Importe ab.
Bulgariens Premierminister Kiril Petkow
Die Diversifizierung der Gasimporte ist seit Jahren ein großes Thema in Bulgarien. Im Jahr 2009 unterzeichnete die staatliche Energieholding eine Vereinbarung mit dem griechischen staatlichen Gasunternehmen Depa über den Bau einer Gaspipeline zwischen Bulgarien und Griechenland. Sie wird Bulgarien in Zukunft ermöglichen, Erdgas unter anderem aus Aserbaidschan zu beziehen.
Laut Bulgariens Premierminister Kiril Petkow soll die Pipeline im Juni 2022 fertiggestellt werden. Die ersten Lieferungen könnten einige Monate später erfolgen. Bis dahin, so Petkow, könne Bulgarien Flüssiggas aus Griechenland beziehen, das Experten zufolge allerdings mindestens 20 Prozent mehr kostet als russisches Erdgas.
Vorwürfe gegen Ex-Premier Borissow
Petkow wirft seinem Vorgänger Bojko Borissow vor, er habe die Energie-Abhängigkeit von Russland nicht nur nicht eingedämmt, sondern im Gegenteil ausgeweitet. Der Konservative Borissow hatte Bulgarien mehr als zehn Jahre regiert. “Nachdem wir Milliarden für TurkStream ausgegeben haben, sehen wir, wohin uns Borissows Politik geführt hat”, so Petkow.
Bulgarien hat rund 1,5 Milliarden Euro in den Bau eines zweiten Arms der TurkStream-Gaspipeline investiert. TurkStream, auch Turkish Stream genannt, liefert russisches Erdgas in die Türkei. Über den zweiten Arm der Leitung, TurkStream 2 oder Balkan Stream, wird das Erdgas über Bulgarien weiter nach Serbien, Ungarn und Österreich geliefert. Dafür erhält Bulgarien Transitgebühren.
“In einem Jahr haben sie TurkStream gebaut, in zwölf konnten sie die Gasverbindung mit Griechenland nicht fertigstellen”, kritisiert Martin Dimitrow, Energieexperte und Parlamentsabgeordneter der Partei Demokratisches Bulgarien, gegenüber der DW. “Bulgarien wurde also all die Jahre bewusst von russischem Gas abhängig gemacht.”
Gefahr für Serbien und Ungarn?
Die Gazprom-Entscheidung, die Gaslieferungen an Bulgarien einzustellen, hat in Belgrad und Budapest die Befürchtung geweckt, dass die Regierung in der bulgarischen Hauptstadt Sofia die Gasdurchleitung nach Serbien und Ungarn stoppen könnte. Das wies Energieminister Nikolow zurück: “Bulgarien ist nicht Russland. Wir werden keine künstlichen Störungen in unseren Nachbarländern verursachen.”
Martin Dimitrow ist Energieexperte und Abgeordneter im bulgarischen Parlament
Martin Dimitrow unterstützt diese Haltung. “Unser Land muss sich als guter Nachbar und Partner verhalten”, so der Energieexperte und Abgeordnete gegenüber der DW. “Obwohl Moskau einseitig beschlossen hat, sich nicht an den Vertrag zu halten, müssen wir uns an alle unterzeichneten internationalen Verträge halten. Das bedeutet, dass Bulgarien den Gas-Transit nach Serbien oder Ungarn nicht einstellen darf.”
Alternativen dringend gesucht
Aber Sofia müsse eine Entschädigung von Gazprom verlangen, so Dimitrow weiter. “Das eigentliche Problem ist, dass Bulgarien bis Ende des Jahres einen Vertrag über die Lieferung von russischem Erdgas hat, der in Übereinstimmung mit allen Anforderungen des internationalen Rechts abgeschlossen wurde. Moskau verletzt diesen Vertrag allein und einseitig – und wenn ein Vertrag derart gebrochen wird, muss die andere Partei, in diesem Fall Bulgarien, Sanktionen beantragen.”
Die Regierung des EU-Mitgliedslandes hat bereits erklärt, sie unterstütze die Idee, dass die Europäische Kommission in Zukunft Lieferverträge für die gesamte Europäische Union aushandelt. “Außerdem muss Bulgarien dringend mehrere Alternativen aufbauen und anfangen, aserbaidschanisches Gas und Flüssiggas zu kaufen”, fügt Energieexperte Dimitrow hinzu.
Für Martin Wladimirow, Energieexperte am bulgarischen Zentrum für Demokratieforschung, ist die Entscheidung von Gazprom ein klares politisches Zeichen: “Dieser Schritt kann als Versuch Russlands interpretiert werden, eine innenpolitische Krise in schwachen EU-Ländern wie Bulgarien zu verursachen, um die einheitliche Position Europas zur Ukraine zu schwächen”, so Wladimirow gegenüber DW.
Mitarbeit: Mina Kirkova