Um den Planeten nicht noch weiter zu erhitzen, hat die EU 2019 versprochen, bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu werden. Trotz Pandemie, Krieg und Energiekrise setzen sich europäische Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber dafür ein, die Verschmutzung der Umwelt einzudämmen.
Einige Ziele aus dem sogenannten “European Green Deal” haben sie bereits in Gesetze gegossen, über andere verhandeln sie noch. Sie haben grüne Bedingungen an Corona-Entlastungspakete geknüpft und Regeln abgeschafft, die den Ausbau erneuerbarer Energien verhindern.
“COVID hat den Green Deal nicht zu Fall gebracht”, sagt Pieter de Pous, Analyst bei der Berliner Klima-Denkfabrik E3G. “Es hat ihn sogar gestärkt.”
Wenn es Europa gelingt, seine Wirtschaft umzukrempeln, wäre das ein Vorbild für andere große Treibstoffemittenten von den USA bis China. Und es könnte Ländern in Afrika und Asien zeigen, dass auch Industrieländer es ernst damit meinen, den Klimawandel zu stoppen.
Doch wie nah ist die EU ihren Klimazielen tatsächlich? Und wie viel ist noch zu tun?
Gemeinsam mit Partnermedien aus dem European Data Journalism Network verfolgt die DW den Fortschritt der EU in fünf Schlüsselbereichen. Dieser Artikel wird regelmäßig aktualisiert, sobald neue Daten verfügbar werden.
EMISSIONEN: Treibhausgase reduzieren
Die EU hat ihren jährlichen Ausstoß an Treibhausgasen seit 1990 um etwa 30 Prozent reduziert – hauptsächlich, weil Mitgliedstaaten heute weniger Kohle verbrennen. Bis zum Ende des Jahrzehnts soll der Treibhausgas-Ausstoß nun um 57 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken.
“Die Wahrheit ist, dass die Welt nicht auf dem Weg ist, die Erhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen”, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, der “Architekt” des Green Deal, als er das neue Ziel im November 2022 auf der COP27-Klimakonferenz in Ägypten verkündete. “Wir brauchen mehr Ambition.”
Doch das neue Ziel ist kaum ambitionierter als die ursprünglich vereinbarten 55 Prozent. Und es reicht nicht aus für das Versprechen, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Der Climate Action Tracker, der von zwei Organisationen für Umweltforschung erstellt wird, zeigt, dass die europäischen Emissionen um mindestens fünf Prozentpunkte mehr fallen müssten, insgesamt also um mehr als 62 Prozent.
Mit ihren derzeitigen Gesetzgebungen steuern die EU-Mitgliedstaaten auf nur 36 bis 47 Prozent weniger Treibhausgase zu.
ENERGIE: Mehr Erneuerbare Quellen
Die EU erzeugt gegenwärtig 22 Prozent ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen. Bis Ende des Jahrzehnts sollen es 40 Prozent sein, so der letztes Jahr verkündete Plan. Nachdem Russland im Februar 2022 die Ukraine angegriffen hatte, entschied die EU-Kommission, dieses Ziel noch einmal zu steigern: auf 45 Prozent. Dafür bräuchte es einen schnellen, entschiedenen Vorstoß, um besonders verschmutzende Wirtschaftszweige zu elektrifizieren und das Stromnetz des Kontinents zu säubern.
Der Entwurf hat bereits zwei Runden der EU-Bürokratie durchlaufen. Er muss aber noch von denjenigen Mitgliedstaaten abgesegnet werden, die das Ziel bei 40 Prozent belassen wollen.
Europa versucht händeringend, Erdgas als Energiequelle zu ersetzen, seit der russische Präsident Vladimir Putin entschied, die Ukraine anzugreifen und Gas-Pipelines nach Europa zu schließen. Deutschland, die größte Volkswirtschaft der EU, ebenso wie andere Länder haben Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen, langjährige neue Verträge mit Gasproduzentinnen und Produzenten in Afrika und dem Nahen Osten unterzeichnet, und Terminals für Schiffsladungen von Flüssiggas aus dem Ausland gebaut. Gleichzeitig haben Deutschland und andere EU-Länder versprochen, die Nutzung erneuerbarer Energien auszubauen, und es auch einfacher für Unternehmen zu machen, sie zu nutzen.
Analystinnen und Analysten erwarten einen Anstieg an Verschmutzung, wenn Länder wieder mehr Kohle verbrennen. Noch besorgter sind sie allerdings über die Pläne, neue Infrastruktur für Erdgas zu bauen, denn die könnte noch auf Jahrzehnte hin die Umwelt verschmutzen. Das bringt den Plan in Gefahr, bis 2030 zu 45 Prozent grüne Energie zu nutzen.
ENERGIE: Strom aus Solaranlagen und Windparks
Unternehmen aus der Solar- und Windkraftbranche erwarten, dass die EU in den nächsten vier Jahren 220 Gigawatt an Sonnenenergie und 92 Gigawatt an Windkraft bauen wird. Dabei hilft es, dass erneuerbare Energien immer billiger werden. Laut dem Londoner Klima-Thinktank Ember wäre das sogar mehr, als in einigen Szenarien nötig wäre, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
“Um aus dieser Krise zu entkommen, brauchen wir einen massiven Zufluss an zuverlässiger, hausgemachter erneuerbarer Energie”, sagt Harriet Fox, Solar-Analystin bei Ember. “Wenn die EU es ernst damit meint, erneuerbare Energien auszubauen, dann gibt es keinen Grund, die Ziele der Branche nicht zu erreichen.”
Die Projektionen der Windkraftindustrie sind weniger optimistisch als die der Solarbranche. Das liegt vor allem an der langen Zeit, die es dauert, die nötigen Genehmigungen einzuholen und Windparks zu bauen. Im November haben sich EU-Mitgliedstaaten geeinigt, diese Genehmigungen in Zukunft schneller zu erteilen. So könnten Unternehmen einen Teil der Bürokratie zur Einschätzung von Umweltauswirkungen eines Projektes überspringen, um die Zeit zwischen Planung und Bau abzukürzen.
GEBÄUDE: Heizen ohne Gas
Die EU will mehr Gebäude renovieren und bis 2030 den Anteil erneuerbarer Energien in diesem Sektor auf 49 Prozent steigern. In einem Entwurf setzt sich die Europäische Kommission dafür ein, ab 2027 Solaranlagen auf neue öffentliche und geschäftliche Gebäude zu bauen, und ab 2028 auch auf existierende Gebäude. Neue Wohngebäude sollen ab 2030 mit Solarmodulen ausgestattet werden.
Zusätzlich zur Infrastruktur für saubere Energie müsste die EU auch Anwendungen elektrifizieren, die fossile Energien benötigen – wie etwa Gasheizungen. Eine effektive Alternative dafür sind elektrische Wärmepumpen.
Laut Modellrechnungen der EU-Kommission müssten Wärmepumpen mit Stromantrieb aus erneuerbaren Energien bis Ende des Jahrzehnts mindestens dreimal so viel Wärme generieren wie bisher. Eine vorläufige Analyse des Regulatory Assistance Project – einer globalen gemeinnützigen Organisation, die sich dafür einsetzt, Gebäude klimaneutral zu gestalten – geht davon aus, dass dafür doppelt so schnell neue Pumpen installiert werden müssten als bisher. Hohe Gaspreise haben den Bedarf für Wärmepumpen bereits ordentlich angekurbelt, doch ein Mangel an qualifizierten Installateuren bremst derzeit den Ausbau.
VERKEHR: Autofahren ohne Benzin
Die EU-Kommission will bis 2030 den CO2-Ausstoß neuer Autos um 55 Prozent reduzieren und ihn bis 2035 komplett auf Null senken. Der Verzicht auf Verbrennermotoren wäre einer der einfachsten Wege, den Verkehrssektor klimatüchtig zu machen. Es ist der einzige Bereich, in dem Emissionen bisher stetig steigen: Im Jahr 2021 war der Ausstoß an Treibhausgasen im Verkehr um 15 Prozent höher als 1990.
Einige Mitgliedstaaten, einschließlich Deutschland und Italien, lehnen dieses Ziel allerdings bisher ab.
Experten meinen, das Ziel sei erreichbar, allerdings auch wenig ambitioniert. In der EU werden immer mehr Elektroautos verkauft: 2020 waren noch 11 Prozent aller neuen Fahrzeuge elektrisch, 2021 waren es schon 18 Prozent.
Emissionen könnten noch schneller fallen, wenn mehr Menschen das Auto stehen lassen würden – zugunsten von öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrädern oder Fußwegen.
LANDWIRTSCHAFT: Die Bauernhöfe sauber machen
Nur wenig Fortschritt hat die EU in der Landwirtschaft gemacht, die für etwa zehn Prozent der europaweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich ist. Sie setzen sich aus unterschiedlichen Faktoren zusammen, etwa Methangas, das beim Rülpsen von Kühen frei wird, Stickstoffoxiden aus Düngemitteln, oder Gülle, die gleich beides beinhaltet.
Zwei Drittel der Treibhausgase aus der europäischen Landwirtschaft stammen direkt aus der Nutztierhaltung. Die EU plant, nachhaltige Futterzusätze einzuführen, die den Methanausstoß von Kühen reduzieren, und weniger Soja als Tierfutter auf abgeholzten Flächen anzubauen. Doch die nötige Umstellung sei nicht möglich, ohne dass EU-Bürgerinnen und Bürger ihre Ernährungsgewohnheiten ändern.
Die Datenquellen, die diesem Artikel zugrunde liegen, finden Sie hier. Dieses Projekt ist aus einer Kooperation zwischen mehreren Mitgliedern des European Data Journalism Network entstanden. Die DW leitete das Projekt, Openpolis, Pod črto, Denik Referendum und VoxEurop waren Partnerredaktionen.