Im Schatten des Kalten Krieges: die Ursprünge der Berlinale

Statt wie üblich im Februar, wurden dieses Jahr weite Teile der Berlinale pandemiebedingt auf den Juni verschoben. Aber auch ohne Corona haben die Sommermonate durchaus auch Tradition bei den Filmfestspielen: Bevor das Filmfestival in den 70er Jahren in die Wintermonate verlegt wurde, war es eigentlich ursprünglich ein feierliches Sommer-Event.

Vor 70 Jahren, am 6. Juni 1951, begannen die ersten Internationalen Filmfestspiele Berlin mit der Aufführung von Alfred Hitchcocks Klassiker “Rebecca” im Titania-Palast Kino. Obwohl der Film noch aus dem Jahr 1940 stammte, war dies dennoch eine Premiere für die Berliner, die die Hauptdarstellerin des Films, Joan Fontaine, begeistert in Ihrer Heimat willkommen heißen konnten.

Archivbild in dem eine lange Schlange von Menschen vor dem Titania-Palast Kino in Berlin zu sehen ist

Am 6. Juni 1951 eröffnet Alfred Hitchcocks Film “Rebecca” im Titania-Palast die erste Berlinale

Zu dieser Zeit lag die geteilte Stadt aber immer noch in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs – und direkt an der Front des Kalten Krieges. Und das war vor allem den West-Berlinern besonders bewusst: Die räumliche Trennung West-Berlins vom Rest der Bundesrepublik hatte sich nur zwei Jahre zuvor während der Berliner Blockade deutlich gezeigt; von Juni 1948 bis Mai 1949 mussten die Westalliierten Versorgungsgüter per Flugzeug an West-Berlin über die Luftbrücke schicken, nachdem die Sowjetunion die Enklave vom Rest der Welt abgeschnitten hatte.

Deshalb war die Berlinale von Anfang an auch ein Politikum: Das Filmfestival sollte der Stadt nicht nur Hoffnung an eine bessere Zukunft schenken, sondern auch als Schaufenster der freien Welt in einer Stadt innerhalb der Grenzen der jungen DDR dienen. Erst viel später aber sollte sich herausstellen, dass auch die Berlinale von Anfang auch ihre eigenen Leichen im Keller wohl hatte.

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70 Jahre Berliner Filmfestspiele – dokumentiert in Fotos

Die Nazi-Vergangenheit des Gründungsdirektors

Zu den Initiatoren der Berlinale gehörten der Filmoffizier der US-Militärverwaltung, Oscar Martay, sowie der Jurist und Filmhistoriker Alfred Bauer, der später von 1951 bis 1976 auch als Direktor des Festivals fungierte. Erst 2020 deckt “Die Zeit” aber auf, dass Bauer zuvor als hochrangiger NS-Filmfunktionär tätig gewesen war. Als Referent der Reichsfilmintendanz von 1942 bis 1945 war Bauer laut Zeit “über die gesamte deutsche Filmindustrie bestens informiert” gewesen und hatte im Bereich der Produktionsplanung im direktem Austausch mit Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels “eine zentrale Rolle” gespielt.

Bauer hatte allerdings Vernehmungsbeamte während der Entnazifizierungsprozesse davon überzeugen können, dass er angeblich ein Nazi-Gegner gewesen war, obwohl er schon 1937 der NSDAP beigetreten war und bereits seit 1933 in diversen nationalsozialistischen Organisationen vor allem bei der propagandistischen Arbeit aktiv wurde.

Filmfestspiele im Zentrum der Weltpolitik

Offenbar schloss Bauer sich dann nach Kriegsende ebenso schnell der von den westlichen Alliierten betriebenen Propaganda gegen den Kalten Krieg an. Über zwei Jahrzehnte boykottierte die Berlinale nämlich aus Prinzip sämtliche Filme aus dem Ostblock – unter Bauers Leitung.

Die Spannungen des Kalten Krieges wurden zwangsläufig auch bei den Berliner Filmfestspielen thematisiert. Die dritte Berlinale begann am 18. Juni 1953, nur einen Tag nach der gewaltsamen Niederschlagung des Arbeiteraufstandes in der kommunistischen DDR. Die Grenzsektoren waren geschlossen und das Publikum war deutlich kleiner als in den Jahren zuvor. Für die Berlinale selbst war dies Beweis, dass sie ein Zeichen setzen und den Osten ausgrenzen und zugleich auch ködern musste.

US-Schauspielerin Jayne Mansfield umgeben von Fans

Glamour für West-Berlin: 1961 stand Hollywood-Star Jayne Mansfield auf dem roten Teppich

Bereits bei der fünften Berlinale gab es ein aufgestocktes Werbebudget, mit dem Plakate für das Filmfestival in der Nähe der Grenze zu Ost-Berlin finanziert und prominent platziert wurden. Besucher aus Ost-Berlin konnten allerdings ab 1962 nicht mehr ungehindert zu den Vorführungen kommen, da im August des Vorjahres die Teilung der Stadt mit dem Bau der Berliner Mauer endgültig besiegelt worden war. Die Organisatoren versuchten dennoch, den Kontakt zu den Ostberlinern aufrechtzuerhalten und richteten für das Festival 1963 eine sogenannte “Fernsehbrücke” ein, die einen Teil des Programms auf Bildschirme jenseits der Mauer übertrug.

Vietnamkrieg in Berlin

In den 60er Jahren tat sich ansonsten wenig; die Berlinale blieb Ihrer Haltung treu und zeigte nur Filme aus dem Westen. Der Kalte Krieg hatte den roten Teppich somit schon lange erreicht. Dann kam 1970 der wohl größte politische Skandal bei dem Filmfestival, der allerdings weit weg von Berlin mit dem Vietnamkrieg zu tun hatte: Der westdeutsche Antikriegsfilm “O.K.” unter der Regie von Michael Verhoeven schilderte die Geschichte eines vietnamesischen Mädchens, das von vier US-Soldaten vergewaltigt und ermordet wird, beruhend auf wahren Ereignissen.

Der Präsident der Jury war in diesem Jahr Regisseur George Stevens, der zuvor als US-Soldat im Zweiten Weltkrieg direkt an der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau teilgenommen hatte. Stevens weigert sich den Film im Wettbewerb zu haben: Ein Deutscher wie Verhoeven könne schließlich Amerikaner kaum der Kriegsverbrechen beschuldigen, hieß es damals. Nicht alle Jurymitglieder stimmen Stevens zu, die Jury löst sich auf, und die Filmfestspiele enden ohne Preisverleihung. Zunächst ist sogar unklar, ob die Berlinale jemals wieder stattfinden wird – und vor allem wie.

George Stevens steht in der Mitte während links und rechts von ihm jeweils zwei weitere Jurymitglieder und Berlinale Mitarbeiter sitzen

Mit US-Regisseur George Stevens (mitte) war bei der Berlinale 1970 kaum zu spaßen

Inmitten diverser politischen Krisen der 70er Jahre, sprach vieles für eine Annäherung des Westens an den Osten über die Kultur. Somit war 1974 das erste Jahr, in dem ein Film aus der Sowjetunion im offiziellen Programm des Festivals gezeigt werden konnte. Ein Jahr später nahmen dann auch weitere kommunistische Staaten an der Berlinale teil, darunter erstmals auch Filme der staatlichen Filmgesellschaft der DDR, DEFA. Doch 1979 bannt sich schon die nächste Krise an, und wieder geht es um den Krieg in Vietnam: die ehemalige UdSSR bezeichnet den in dem Jahr vorgeführten Film “Deer Hunter” des US-Regisseurs Michael Cimino als “Beleidigung am vietnamesischen Volk.” Prompt steigen daraufhin die kommunistischen Staaten aus dem Festival erstmal wieder aus. Nach mehreren diplomatischen Vermittlungsansätzen erst können die Ostblockländer dazu überredet werden, im Folgejahr wieder am Festival teilzunehmen.

Die Berlinale seit dem Mauerfall

Über die nächsten zehn Jahre bleibt der Ton versöhnlich. Der damalige Berlinale-Direktor Moritz de Hadeln macht dem ostdeutschen Filmbüro sogar ein unwiderstehliches Angebot: das Festivalprogramm könne doch gleichzeitig in Ost- und West-Berlin gezeigt werden. Viel Zeit, darüber zu schlafen, hat das Filmbüro allerdings nicht: das Angebot lag am 9. November 1989 auf dem Tisch. Am selben Abend noch fällt die Berliner Mauer. 1990 findet die Berlinale dann zum ersten Mal in beiden Teilen der Stadt statt – ein symbolträchtiges Ereignis in der Geschichte der deutschen Wiedervereinigung.

Auch nachdem das Filmfestival jahrzehntelang die Eskapaden des Kalten Kriegs überstanden hatte, hält die Berlinale ihrem Ruf, das “politischste” der europäischen Filmfestivals zu sein, mit Stolz fest: In den letzten 20 Jahren wurde zum Beispiel der Goldene Bär dreimal an iranische Filmemacher verliehen, die in ihrem Heimatland mit Zensur und Haft zu kämpfen haben. Mit der Einführung der Auszeichnung für den besten Dokumentarfilm 2017 will die Berlinale diese Reputation noch weiter festigen. Auch in Zukunft wird es jede Menge Politik bei dem Festival geben — allerdings hoffentlich nicht hinter den Kulissen sondern auf der Leinwand.

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen übersetzt.