Autobauer wie VW, BMW oder Mercedes-Benz hat es schon erwischt. Energiekonzerne wie RWE und Wintershall Dea ebenfalls. Sie alle müssen oder mussten sich vor Gericht verantworten, weil sie zum Klimawandel beitragen. Bislang sind solche Klagen in Deutschland für Unternehmen glimpflich verlaufen. So haben seit Herbst 2022 einige Landgerichte Klagen gegen Autobauer abgewiesen. Andere Verfahren laufen noch, wie die eines peruanischen Bergführers gegen den Energiekonzern RWE .
Überall auf der Welt versuchen immer mehr Menschen auf diesem Weg bessere Klimaschutzmaßnahmen zu erwirken und fordern zum Teil auch Schadensersatz für Schäden, die durch den Klimawandel verursacht wurden. Bis heute wurden über 2000 Klimaklagen weltweit eingereicht, heißt es von der London School of Economics. Ein Großteil davon, nämlich rund jede vierte, seit 2020.
Können Autohersteller für das CO2 verantwortlich gemacht werden, dass von den Käufern ihrer Produkte verursacht wird?
Einige Unternehmen treiben den Klimawandel besonders
Haben sich bislang die meisten Verfahren gegen Regierungen gerichtet, werden in jüngster Zeit immer mehr Unternehmen verklagt, so die Unternehmensberatung EY. Das könnte ein großer Hebel sein, denn einige Unternehmen schädigen das Klima stärker als so mancher Staat. So wurden mehr als ein Drittel der weltweiten CO2-Emissionen, die zwischen 1965 und 2018 ausgestoßen wurden, von den 20 größten Öl-, Kohle- und Gas-Konzernen verursacht.
Verklagt werden aber nicht nur Unternehmen aus der Branche der fossilen Brennstoffe, sondern auch Unternehmen aus dem Bereich Verkehr, Lebensmittel, Landwirtschaft, Kunststoff und Finanzen, heißt es von der auf Wirtschaftsrecht spezialisierten, international tätigen Anwaltssozietät Hengeler Müller.
Auch einer der größten Baustoffhersteller der Welt, Holcim, muss sich in der Schweiz vor Gericht verantworten. Durch seine Zementproduktion hat der Konzern zwischen 1950 und 2021 mehr als sieben Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen, was mehr als doppelt so viel ist wie die gesamte Schweiz verursacht hat.
Wie viel Sorge müssen Unternehmen nun haben?
Müssen Unternehmen, die im Rahmen der Gesetze gewirtschaftet haben, nun fürchten, für ihren CO2-Ausstoß im Nachhinein zur Verantwortung gezogen zu werden und von Richterinnen und Richtern Vorgaben zu bekommen, wie sie ihre Geschäfte künftig führen dürfen?
In den Niederlanden, die in Bezug auf Klimaklagen eine sehr progressive Rechtsordnung haben, gab es im Mai 2021 einen ersten Dammbruch. Nachdem zuerst die niederländische Regierung erfolgreich verklagt wurde, mehr für den Klimaschutz zu tun, wurde 2021 der britisch-niederländische Ölkonzern Royal Dutch Shell per Gerichtsentscheid dazu verpflichtet, die CO2-Emissionen, die durch den Verkauf der Shell-Petrolprodukte verursacht werden, bis 2030 um 45 Prozent zu senken.
Das Besondere daran: “Das Shell-Urteil ist das erste Urteil, das einer Klage gegen ein Privatunternehmen stattgibt”, sagt Marc-Philippe Weller, Direktor am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg.
Dieses Urteil sei wegweisend gewesen und habe andere Kläger inspiriert. Im Anschluss daran verpflichtete in Deutschland im selben Jahr das Bundesverfassungsgericht die Regierung, ihre Klimapolitik nachzujustieren. Auf dieses Urteil nahmen wiederum Klimaaktivisten Bezug und zogen verschiedene Unternehmen vor deutsche Gerichte. “Ob das Erfolg haben wird? – da darf man eher skeptisch sein nach dem Status quo der Rechtslage”, meint Weller.
Im Februar 2023 hat die Umweltrechtsorganisation Client Earth den Vorstand von Shell vor einem britischen Gericht (High Court of Justice) verklagt. Der Vorwurf: Er hätte versäumt, die “wesentlichen und vorhersehbaren” Klimawandel-Risiken für das Unternehmen zu managen.
Der Weg durch die Instanzen hat begonnen
In der Tat wurden vier Urteile zugunsten der in Deutschland verklagten Autohersteller gefällt. So hat das Landgericht Stuttgart Mitte September eine Klage gegen Mercedes-Benz abgelehnt, im Februar dieses Jahres haben weitere Landgerichte Klagen gegen BMW und VW abgelehnt. Das hat die Kläger allerdings nicht davon abgehalten, in allen vier Fällen in die nächste Instanz zu den jeweiligen Oberlandesgerichten zu gehen.
Es gibt zudem Mutmaßungen, dass sich die Landgerichte zurückhalten in einem noch nicht von Grundsatzurteilen geprägten Rechtsgebiet und die Entscheidung lieber den höheren Instanzen überlassen. Daher ist das Verfahren gegen RWE, das seit 2015 am Oberlandesgericht Hamm läuft, besonders interessant. Zumal es dort nicht allein darum geht, das künftige Verhalten des Konzerns zu beeinflussen.
Der Biobauer Ulf Allhoff-Cramer sieht sich die Folgen des Klimawandels in seinem Eigentum und in seiner Gesundheit beeinträchtigt. Seine Klage gegen VW als großen CO2-Emittenten wurde am 24.2.23 vom Gericht abgewiesen.
Droht eine Flut von Schadensersatzklagen?
Die Kläger möchten, dass RWE verpflichtet wird, künftig weniger CO2-Emissionen auszustoßen. Zudem soll das Energieunternehmen Schadensersatz leisten. Da RWE für 0,47 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist, soll das Unternehmen im entsprechenden Umfang für die Kosten aufkommen, die der Kläger, ein peruanischer Bergführer, hat, um sein Haus vor Schlammlawinen, die durch eine vom Klimawandel verursachte Gletscherschmelze ausgelöst werden, zu schützen.
Was aber, wenn die Klage gegen RWE Erfolg hat? Müssen dann viele andere Unternehmen befürchten, dass es aus der ganzen Welt Regressforderungen geben könnte? Ganz so einfach sei das nicht, sagt Rechtsexperte Weller. Grundsätzlich müsse ein eingetretener Schaden auf die CO2-Emissionen rückführbar sein, wenn man Schadensersatz haben möchte. “Das dürfte in den wenigsten Fällen klar darzulegen sein”, glaubt Weller.
Während die Richter bereits eine Gefahrenabwehr, also beispielsweise ein Verbot von Verbrennungsmotoren, einleiten können, wenn sie die Gefahr für sehr wahrscheinlich halten, müssten sie für einen Haftungsanspruch eine Überzeugung von 100 Prozent haben. “Extremwetterereignisse nehmen zwar in ihrer Wahrscheinlichkeit zu, aber ein einzelnes Wetterereignisse lässt sich schwer auf den Klimawandel zurückführen”, so Weller. “Es besteht eben nur die Wahrscheinlichkeit, dass diese zunehmen. Aber keine hundertprozentige Gewissheit. Das ist der springende Punkt.” Die Situation des peruanischen Bauern sei schon ein Sonderfall, meint Weller, allein dadurch, dass das Grundstück unterhalb eines potentiell schmelzenden Gletschersees liege.
Der Vorwurf gegenüber Energiekonzernen: Sie hätten seit langem über die Klimarisiken Bescheid gewusst und es versäumt, rechtzeitig auf Erneuerbare Energien zu setzen
Klimaklagen sind ein Risiko für viele Unternehmen
Trotzdem: “Diese Klagen werden sicher zunehmen”, meint Weller. Es sei außerdem nicht auszuschließen, dass in Zukunft Unternehmen haftbar gemacht werden für Klimaschäden. Deutschland habe keine statische Rechtsordnung, sondern es gebe viele dynamische Elemente. “Wir haben offene Rechtsbegriffe, wir haben die Verkehrsanschauung, die sich wandelt und sicher klimasensibler wird. Das heißt, was heute noch keinen Erfolg hat, kann morgen sehr wohl erfolgreich sein”, sagt Weller.
Auch von der Anwaltssozietät Hengeler Müller heißt es, Klimaklagen seien ein reales Unternehmensrisiko. Auch hier geht man davon aus, dass Klagen auf Schadensausgleich in Zukunft zum Beispiel mit Blick auf extreme Wetterereignisse und ihre Folgen wie Überflutungen, Hitzewellen und Waldbrände zunehmen werden. Somit würden Klimaklagen erhebliche Risiken für die Strategie, die Finanzlage und die Reputation eines Unternehmens mit sich bringen. Die Empfehlung: “Der Aspekt des Klimaschutzes sollte bei der Beurteilung von Maßnahmen der Unternehmensführung daher stets mitgedacht werden.”
Damit könnten Klimaklagen also auch Wirkungen entfalten, wenn sie vor Gericht nicht erfolgreich sind. Auch Greenwashing könnte so künftig Unternehmen teuer zu stehen kommen.
Ob nun Klimaklagen erfolgreich sind oder nicht – prinzipiell sieht Weller die Politik in der Verantwortung, wenn es um Klimaschutz geht. Das signalisieren auch die Richterinnen und Richter. “Wenn Sie sich die Urteile anschauen, rufen die Gerichte ja regelrecht nach der Politik”, so der Rechtswissenschaftler Weller. Beispielsweise habe das Landgericht Stuttgart im Fall gegen Mercedes-Benz in der Begründung geschrieben, dass der wesentliche Grundsatz der Verfassung gebiete, dass der Gesetzgeber hier die Regelung treffen müsse und einzelne Gerichte nicht Entscheidungen von so großer Tragweite treffen könnten.