Geredet wird schon lange vom grünen Wasserstoff, also von Wasserstoff, der mit erneuerbaren Energien hergestellt wird. Er gilt als die große Hoffnung für eine klimaneutrale Zukunft. Mit ihm soll klimaneutraler Strom erzeugt werden und er soll fossile Rohstoffe in der Industrie ersetzen. Dafür werden riesige Mengen gebraucht – ab 2030 nach Schätzungen allein in Europa rund 20 Millionen Tonnen. Auch wenn das Thema bekannt ist, konkret passiert ist bislang nicht viel.
Grüner Wasserstoff wird immer noch nur in Forschungs- oder Demonstrationsanlagen hergestellt, das heißt in sehr kleinen Mengen und zu hohen Preisen. Außerdem gibt es keine ausgebaute Infrastruktur, um ihn zu transportieren. Bevor aber Unternehmen tief in die Tasche greifen und ihre Produktion auf grünen Wasserstoff umzustellen, möchten sie wissen, wo sich die Preise einpendeln werden und wer künftig zu den großen Anbietern gehört.
Es ist somit ein klassisches Henne-Ei-Problem. Gibt es nicht genügend grünen Wasserstoff, stellt die Industrie nicht ihre Produktion um. Und wenn die Industrie keine hohen Mengen nachfragt, wird wohl kaum jemand groß in die Produktion von grünem Wasserstoff investieren.
Auktionen sollen die Lösung bringen
Einen Ausweg aus diesem Dilemma haben Timo Bollerhey und Markus Exenberger gefunden. Die zündende Idee kam den beiden, während sie als Berater für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Brasilien arbeiteten. Auch damals beschäftigten sie sich mit innovativen Marktmodellen, die die Energieproduktion in Brasilien nachhaltig machen können.
Bei ihrem derzeitigem Projekt soll nicht nur einem Land geholfen werden. Vielmehr geht es um nichts Geringeres als den weltweiten Markthochlauf von grünen Wasserstoff anzustoßen. Die Idee dahinter ist so simpel, dass man sich fragt, warum nicht eher jemand darauf gekommen ist. “Wir haben einen Doppelauktionsmechanismus geschaffen”, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler und Ingenieur Exenberger. “In einem ersten Schritt kaufen wir über eine Auktion grünen Wasserstoff, beziehungsweise Wasserstoff-Derivate wie grünes Ammoniak, grünes Methanol und grünes synthetisches Flug-Benzin in Nicht-EU-Ländern”.
In Zukunft soll so viel wie möglich elektrisch angetrieben werden – mit Wasserstoff als Speichermedium
Wer die größte Menge für eine festgelegte Summe liefern kann, bekommt den Zuschlag und damit die Garantie, dass die Produktion zehn Jahre lang zu einem fixen Preis abgenommen wird. So wird für potentielle Produzenten die Sicherheit geschaffen, in die Produktion von grünem Wasserstoff in industriellem Maßstab zu investieren. Allerdings müssen sie die angebotene Menge dann auch ab 2024 liefern.
In einem zweiten Schritt werden dann die eingekauften grünen Wasserstoff-Derivate europaweit über Auktionen wieder verkauft. Da sie davon ausgehen, dass die Preise für grünen Wasserstoff steigen werden, weil regulatorische Anreize und ein verändertes Konsumverhalten den Wert in die Höhe treiben werden, werden diese zweiten Auktionen nur mit kurzen Fristen angesetzt.
Staat unterstützt H2GLobal mit Milliarden
Der Bundesregierung ist diese Idee sehr viel Geld wert. Denn die Auktionen werden über den Staat finanziert. “Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat uns für die erste Auktionsrunde 900 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, für die nächste Auktion, die wir gerade planen, weitere 3,53 Milliarden Euro”, erzählt Exenberger. Zusätzlich habe das Ministerium für Digitalisierung und Verkehr für eine weitere Auktion weitere 1,4 Milliarden Euro zugesagt.
Dafür haben die Bollerhey und Exenberger die gemeinnützige Stiftung H2Global und das Tochterunternehmen Hint.co gegründet. Anfang Dezember 2022 wurde die erste Auktion für potentielle Produzenten von grünen Wasserstoff-Derivaten gestartet. Angebote seien aus der ganze Welt gekommen, sagt Exenberger. Aus Südamerika, dem asiatischen Raum, Afrika… ein ganz klarer Fokus würde aber die MENA-Region bilden, also Nordafrika und der arabischen Halbinsel. “Das zeigt auch, wie weit die Industrie schon vorangeschritten ist und auf das Signal gewartet hat, dass sie auch einen über einen längeren Zeitraum dann wirklich auch abgesicherten Abnahmevertrag bekommen können.”
Forschungsministerin Stark-Watzinger freut sich, dass aus Deutschlands viele Patente zur Wasserstofftechnologie kommen
Europa will ebenfalls grünen Wasserstoff marktfähig machen
Deutschland ist mit Hilfe von H2Global vorgeprescht, um den Markthochlauf für grünen Wasserstoff voranzutreiben. Inzwischen will auch die EU agieren und hat verkündet in diesem Jahr eine Wasserstoffbank zu gründen. Schon im Herbst 2023 soll es dann erste Pilotauktionen zur Erzeugung von grünem Wasserstoff geben.
Als Konkurrenz sieht Exenberger die europäische Wasserstoffbank aber nicht. Vielmehr stehen er und Bollerhey in engem Kontakt mit der EU. “Es soll auf europäischer Ebene noch ein weiteres Instrument geben. Zur Zeit wird überlegt, ob dafür H2Global ausgebaut wird – ganz einfach, weil wir schon existieren. Oder ob eine neue Behörde oder Agentur aufgebaut wird mit Unterstützung von H2Global”, so Exenberger.
Noch sieht sich die EU gut positioniert. “Wasserstoff ist ein Industriezweig, in dem die EU dem globalen Wettbewerb immer noch weit voraus ist”, erklärte der Kommissionsvize, Frans Timmermans, Mitte März. „Über 50 Prozent der installierten Elektrolyseur-Kapazitäten und über 50 Prozent der Elektrolyseur-Herstellungskapazitäten befinden sich in der EU”, betonte er. Das könnte sich allerdings bald ändern, denn auch die USA brauchen künftig riesige Mengen an grünen Wasserstoff.
Große Konkurrenz aus den USA
So fördert der Inflation Reduction Act (IRA) aus dem Sommer 2022 mit knapp 370 Mrd Dollar CO2-sparende Technologien und Energiesicherheit, unter anderem also auch grünen Wasserstoff. “Dadurch hat sich der Fokus insbesondere der Industrie stark in Richtung USA gedreht, weil dort schnell sehr große Summen bereitstehen, um den Markt anzuschieben”, sagt Exenberger. “Das ist wirklich eine Gefahr für Europa und auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland, weil die Produktionskapazitäten begrenzt sind”.
Bisher hätten die Amerikaner aber das Problem, dass zwar die inländische Produktion von grünem Wasserstoff stark gefördert werde, der dann aber in den Export gehe, statt im eigenen Land genutzt zu werden. Das mache es für die Amerikaner schwierig, die Klimaziele zu erreichen, so Exenberger. “Die Amerikaner haben uns vor einigen Wochen angesprochen, ob wir ihnen neben dem IRA auch ein zweites Instrument entwickeln können, das die Abnahme von grünem Wasserstoff in Amerika fördert. Das haben wir jetzt getan.” Natürlich in Absprache mit der Bundesregierung, die auch daran interessiert sei, dass sich ein internationaler Markt entwickelt, so Exenberger.
So könnten die USA von den Produktionskapazitäten in Europa profitieren. Auf der anderen Seite ist zu erwarten, dass durch eine starke Förderung der Amerikaner die Kosten der Erzeugung von grünem Wasserstoff reduziert werden – durch die Lern- und Skaleneffekte in der Produktion. Davon hätten dann auch die Europäer etwas.
Wenn es einmal so weit ist und der Markt funktioniert, werden sich Bollerhey und Exenberger wohl nach einer neuen Aufgabe umsehen müssen. Im Idealfall werden dann H2Global und Hint.co überflüssig sein. Das sei auch gut so, meint Exenberger. “Wir müssen nicht über einen ganz langen Zeitraum existieren”, sagt er. “Unser Selbstverständnis ist, wenn wir mitgeholfen haben, einen Markt für grünen Wasserstoff zu etablieren, dann wird H2Global obsolet sein.”