Sie übernehmen aus dem Ausland das Schulgeld für Neffen und Nichten, zahlen die Arztrechnung der Mutter oder steuern etwas zur Altersvorsorge der daheimgebliebenen Geschwister bei: In vielen Familien sorgen Verwandte im Ausland für etwas mehr finanzielle Gelassenheit. Rücküberweisungen heißen ihre einmaligen oder regelmäßigen Zahlungen. Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge leisten rund 200 Millionen Menschen weltweit solche Rücküberweisungen – zum Wohle von weiteren 800 Millionen Menschen. Im vergangenen Jahr wurden so weltweit rund 626 Milliarden US-Dollar verschickt, errechnete die Weltbank.
Doch das System, an das diese rund eine Milliarde Menschen angeschlossen sind, ist teuer: Hunderttausende Ein- und Auszahlungspunkte in fast jedem Winkel der Welt wollen unterhalten werden, und die Unternehmen lassen sich ihre Dienste teuer bezahlen: Die Gebühren liegen im weltweiten Schnitt immer noch bei 6,5 Prozent des Geldwerts. Für Ostafrika gibt die Datenbank Remitscope sogar einen Wert von 9,4 Prozent – von 100 verschickten Dollar kommen also nur knapp über 90 zu Hause an. Seit Jahren gehen die Gebühren jedoch zurück.
Am günstigsten (durchschnittlich 3,5 Prozent) sind Überweisungen mittels digitaler Dienste – doch die kommen laut Weltbank nur bei rund einem Prozent aller Transaktionen zum Einsatz. “Zu sagen, Bargeld sei tot, gibt der Markt einfach nicht her”, sagt Pedro de Vasconcelos von der UN-Tochterorganisation IFAD. “Die Zahlen zeigen deutlich, dass wir noch nicht an diesem Punkt sind. Im Vergleich zu vor vier Jahren nimmt die Digitalisierung der Rücküberweisungen jedoch wesentlich schneller zu, als wir dachten.”
Digitalisierung im Windschatten der Pandemie
Ein wichtiger Grund für das beschleunigte Tempo ist die Corona-Pandemie – obwohl zu Beginn kurzzeitig die Rücküberweisungen einbrachen: Die teilweise sehr strengen Kontaktbeschränkungen haben vielen Menschen auf der ganzen Welt dazu gebracht, ihre Berührungsängste mit der digitalen Welt zu überwinden – und sie zur Zielgruppe von Videotelefonaten, Streaming und eben digitalen Finanzdiensten gemacht. So vermeldete der vor allem in Nigeria, Ghana und Kenia tätige Rücküberweisungs-Dienstleister Azimo im ersten Pandemiejahr 2020, in den Monaten April bis Juni hätten sich fast 200 Prozent mehr Neukunden registriert als erwartet.
Der Bedarf ist also riesig – und der Markt in Bewegung. “Beim Thema Rücküberweisungen halten wir die Kosten genau im Blick”, sagt Sitoyo Lopokoiyit, Managing Director beim kenianischen Fintech-Pionier M-Pesa. Schon seit anderthalb Jahrzehnten bietet die Tochtergesellschaft des Mobilfunkanbieters Safaricom ein mobiles Zahlungsmodell an, das bereits vor der Smartphone-Ära funktionierte und seitdem immer weiter entwickelt wurde. Heute hat M-Pesa 56 Millionen Kunden – die meisten in Kenia, aber auch in Ländern wie Tansania, der DR Kongo oder Mosambik. M-Pesa arbeitet deshalb mit rund 30 Rücküberweisungs-Partnern zusammen: Bei ihnen eingezahltes Geld kann auch an den nach eigenen Angaben mehr als 700.000 Zahlstellen von M-Pesa in Empfang genommen werden, oder aus der digitalen Geldbörse weiterverschickt werden.
So fing es einst an: M-Pesa verband physische Auszahlungsstellen und mobile Übertragung schon in der Prä-Smartphone-Ära (hier 2013 in Nairobi)
“Mit dem Aufkommen neuer Technologien – man kann vom Online-Banking direkt ins M-Pesa-Konto einzahlen und braucht keine Filialen in den USA oder London mehr – ist alles digital geworden. Das hat die Kosten der Rücküberweisungen stark verändert”, sagt Lopokoiyit im DW-Interview.
Auf dem Weg zum Drei-Prozent-Ziel
Die Vereinten Nationen haben in ihren Zielen für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) einen Zielwert vorgegeben: Bis 2030 sollen die Gebühren für Rücküberweisungen nur noch maximal drei Prozent des Geldwerts betragen. Auch M-Pesa bekennt sich laut Lopokoiyit zu dieser Zielmarke.
“In manchen Ländern wird dieses Ziel wohl nicht erreicht werden, das kann ich jetzt schon sagen”, erklärt Pedro de Vasconcelos, Koordinator der Rücküberweisungs-Abteilung bei der UN-Organisation IFAD, im DW-Gespräch. Schwerpunktmäßig geht es bei IFAD um landwirtschaftliche Entwicklung. “In anderen Ländern hingegen haben wir es schon jetzt erreicht. War es also überhaupt das richtige Ziel? Ja, weil es eine Richtung ausgegeben hat, in die wir uns bewegen müssen.”
Wichtiger noch ist aus de Vasconcelos’ Sicht, dass M-Pesa und die anderen Marktteilnehmer ihre Angebote weiterentwickeln – und damit quasi nebenbei noch die finanzielle Inklusion ihrer Kunden vorantreiben: “Sie können Kredite, Versicherungen, Pensionen und anderes an ihr System anschließen. Aus ihrer Sicht kann sich das lohnen – und das Leben ihrer Kunden verändern.” Dieser Trend sei unausweichlich, glaubt de Vasconcelos.
So funktioniert es mittlerweile: digitale Rücküberweisungen können per App direkt z. B. in Sparplänen angelegt werden
Was das konkret bedeuten kann, lässt sich aus M-Pesas Zukunftsplänen erahnen, die Sitoyo Lopokoiyit im DW-Interview skizziert: “Wir schauen uns gerade Zahlungen von Kunden an Unternehmen an. In der nächsten Phase soll es möglich sein, dass jemand zum Beispiel aus Großbritannien direkt über M-Pesa eine Krankenhausrechnung in Tansania begleicht.” Per App soll zudem der wachsende E-Commerce immer besser eingebunden werden.
Rücküberweisungen nehmen zu – gerade in Krisenzeiten
Die schöne neue Welt der digitalen Zahlungen birgt jedoch auch die Gefahr, dass die Kanäle für kriminelle Machenschaften genutzt werden. Bei M-Pesa würden alle Transaktionen in Echtzeit überprüft, sagt Direktor Lopokoiyit. Mit einer Umweltschutzorganisation habe man eine Partnerschaft abgeschlossen, damit M-Pesa nicht für den verbotenen Elfenbeinhandel missbraucht wird. Auch andere Anbieter wie Western Union führen Echtzeit-Screenings durch – auch, damit die internationalen Geldflüsse nicht zur Umgehung politischer Sanktionen genutzt werden.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Rücküberweisungen auch in Zukunft noch weiter an Wichtigkeit gewinnen: Erst seit 20 Jahren würden sie systematisch beobachtet, sagt Pedro de Vasconcelos – und seien seitdem beträchtlich gewachsen. Das gelte insbesondere für Krisenzeiten: “Während Investitionen und manchmal sogar Hilfszahlungen zurückgehen, nehmen Rücküberweisungen zu. Migranten machen keine Investitionen, sondern kümmern sich um die Bedürfnisse ihrer Familien. Und weil sie heute enger denn je mit ihnen im Austausch stehen, erfahren sie jeden Tag, wie es um ihre Familien steht.”
Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Artikels wurde Äthiopien unter den Ländern genannt, in denen M-Pesa aktiv ist. Tatsächlich steht das Unternehmen erst kurz davor.